Erstellt von höf | |   Berchtesgadener Tal

Von Seglern, Kreuzrittern, Bankräubern, Deppen und Politikern

Fritz Kuhn und Sepp Daxenberger reden über „Grüne Marktwirtschaft“

 

„Bei der Agenda 2010 hat manches nicht geklappt“, gibt Fritz Kuhn zu, „aber vieles war richtig und notwendig“. Der Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion benennt einiges, was unter Rot-Grün nicht gelungen ist und hofft auf eine neue Chance nach der Wahl 2009. Zunächst aber unterstützt er Bayerns Grüne bei ihrem Kampf gegen eine übermächtige CSU. Mit Bayerns Landeschef Sepp Daxenberger war er im Nationalpark unterwegs und am Abend bei einer gut besuchten Veranstaltung in Berchtesgaden.

 

Seneca passt auch in Bayern: „Für ein Schiff, das seinen Hafen nicht kennt, weht kein Wind günstig“, zitiert Sepp Daxenberger und meint damit die CSU. Die stelle inzwischen Forderungen, die sie vor kurzem noch bekämpft habe, schicke „JU-Horden durchs Land, um Unterschriften gegen sich selbst zu sammeln.“ Gentechnik, Bildung, Pendlerpauschale seien solche Themenfelder. „Und schon andere Ritter,“ sagt er in Anspielung auf CSU-Chef Erwin Huber, „haben sich bei ihren Kreuzzügen blutige Nasen geholt.“

„Diese Region braucht den Tourismus“, betont Daxenberger in dieser Fremdenverkehrs-Hochburg, „wir brauchen Qualität und wir brauchen Geld, um den Anschluss nicht zu verlieren.“ Aber: „Die Förderpolitik des Freistaates ist jämmerlich.“

Sepp Daxenberger ist stolz auf „das erfolgreichste Gesetz der letzten 20 Jahre“. Das Energieeinspeisegesetz haben inzwischen 40 Länder weltweit übernommen, es hat in Deutschland 220.000 Arbeitsplätze gebracht. Er komme derzeit beinahe täglich in Betriebe, erzählt er, die mit „grünen Ideen“ erfolgreich sind. Und solche Techniken brauchten alle Länder dieser Welt, auch die Schwellenländer. Es wäre „wirtschaftlicher und umweltpolitischer Wahnsinn“, diese Chancen zu gefährden etwa dadurch, dass man wieder verstärkt auf Atomenergie setze.

Das meint auch Fritz Kuhn: „Dieser Unsinn wäre nicht verantwortbar.“ Das gleiche gelte für die Agrogentechnik: „Wir werfen weiter als wir sehen können,“ zitiert er dazu den Philosophen Günther Anders. „Die Bayern und die Württemberger sind die größten Heuchler: die Energie, den Profit, die Steuern aus der Atomenergie wollen sie haben. Beim Endlager sagen sie: nein! Nicht bei uns.“

Auf vielen Politikfeldern brauche es Rahmenbedingungen des Staates, betont der Grünen-Abgeordnete. Die soziale Marktwirtschaft eines Ludwig Erhard biete zu wenig, um der Ökologie zum Durchbruch zu verhelfen. Das Mietrecht müsse so gestaltet sein, dass sich Renovierung lohnt. „Bei den Altbauten spielt die Musik“, sagt Kuhn, „wenn wir so weitermachen, dauert es 50 Jahre bis die Häuser saniert sind.“ Bei Elektrogeräten wünscht er sich den „Top-Runner-Ansatz“ Japans: Das beste, also sparsamste Gerät gibt das Maß vor. Beim Verkehr sagen die „Preise nicht die ökologische Wahrheit.“ Das Taxi zum Flughafen sei teurer als der Flug zum Urlaubsziel.

„Bankräuberautos“ nennt Kuhn die großen Karossen deutscher Hersteller. „Tested on the German Autobahn“ sei angeblich Qualitätssiegel und Verkaufsargument, für ihn allenfalls noch brauchbar als Teil eines „Deppentests.“ Diesen „Geschwindigkeitswahn gibt es nur bei uns. Jedes zivilisiertes Land der Erde hat eine Geschwindigkeitsbegrenzung.“ Eines schreibt er deutschen Autobauern ins Stammbuch: wenn sie nicht schnell handeln, dann gibt es eine „Strukturkrise, die sich gewaschen hat.“

Auch bei der Bahn „muss es endlich krachen“. Bei Mehdorns „Flughafen-Konzept“ werden selbst große Städte „abgehängt“, mehr noch der ländlichen Raum. „Die Privatisierung ist ein Riesenfehler“, so das Grüne-Gründungsmitglied, „es entsteht ein Renditedruck, der schnell einmal fragt: warum soll ich Hinterholzhausen anfahren?“ Auch das sei Ordnungspolitik; der Staat hat für eine Infrastruktur für alle Bürger zu sorgen: Verkehr, Energie, Wasser, Strom.

„Die Gesundheitsreform ist ein Witz“, meint Kuhn; „die wird abgeschafft.“ Die Grünen wollen eine Bürgerversicherung für alle Menschen und für alle Einkommensformen. „Wir haben inzwischen in Deutschland eine Zwei-Klassen-Medizin“. Und weiter: „Teilweise ist die Qualität schlechter als in anderen Ländern, teilweise gibt es Überversorgung“. Allein in Berlin gebe es mehr Röntgen-Praxen als in ganz Italien.

„Es gibt keine Altersarmut bei der Rente, wie uns die Linke weismachen möchte“, betont Fritz Kuhn. Aber: „Durch den Niedriglohnsektor wird es sie in 20, 30 Jahren geben.“ Hier brauche es Reformen, die sozialen System müssten mehr über Steuern finanziert werden.

Warum allein die SPD für die Folgen der Agenda 2010 abgestraft werde, und nicht die Grünen, haben wir Fritz Kuhn gefragt. „Weil wir pragmatischer damit umgehen,“ sagt der Grüne. „Was gut ist lassen wir, anderes muss geändert werden“. Der SPD würde er ebenso einen „differenzierteren Umgang mit der Agenda raten“.

„Was Bayerns Landesbank und ein unfähiger Minister anstellen, ist hoch fahrlässig“, klagt Kuhn an, denn: „Für die internationalen Finanzmärkte gibt es keine Regeln; hier hat keiner mehr den Überblick.“ Auch für den Grünen-Listenkandidaten, den Berchtesgadener Dr. Bartl Wimmer, ist das „ein Thema, was mir die Galle hochtreibt“. Aufgabe der Sparkassen sei, die regionale Wirtschaft zu fördern, stattdessen „verzockt man das Geld in Florida. Eine Sauerei hoch zehn!“ Zudem kaufe man jetzt eine Tochterbank in Liechtenstein, um noch staatlicherseits die Steuerhinterziehung zu fördern. Für Wimmer wäre allein dieser Skandal schon Grund genug, die „CSU-Staatsregierung in die Wüste zu schicken.“ Das sieht auch Fritz Kuhn so und deshalb fordert er die Besucher auf: „Wählt patriotisch; wählt Typen wie den Sepp Daxenberger“.

Der ist derzeit ein gefragter Mann: Münchner Merkur, Süddeutsche Zeitung, Spiegel-Online, Reuters und fast alle Regionalmedien waren an diesem Abend anwesend. Am nächsten Tag trifft sich Daxenberger mit der Grünen-Bundestagsfraktion in Miesbach. Dort will es den Abgeordneten aus dem fernen Berlin berichten über Bayerns Befindlichkeit. Er wird sagen: „Es schaut gut aus. Wir sind bei den Umfragen bei über zehn Prozent, die CSU ist unter 50 Prozent.“

Bund und Land vereint gegen die „Staatspartei“. Links: Fritz Kuhn, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Deutschen Bundestag, daneben Bayerns Grünen-Landeschef und Wahlkreiskandidat Sepp Daxenberger. (Foto Höfer)