Erstellt von Karin Kleinert | |   Kreisverband

Nebeneinander von Mensch und Natur gefordert

Online-Kreisversammlung zum Thema Wolf – „Besondere Verantwortung in der Biosphärenregion“

 

Der Wolf macht seit Monaten Schlagzeilen. Er wird, was alle längst erwartet haben, auch hier in der Region regelmäßig auftauchen. Über kaum ein anderes Tier wird derart emotional diskutiert. Einen Versuch, die Debatte zu versachlichen und den Blick auf das große Ganze zu richten, unternahm der Grüne Kreisverband Berchtesgadener Land vor kurzem in einer Online-Kreisversammlung. Zugeschaltet waren die Grünen Landtagsabgeordneten Christian Hierneis, ein ausgewiesener Wolf-Experte, und Gisela Sengl, die heimische Stimmkreisabgeordnete und agrarpolitische Sprecherin der Landtagsfraktion. Rund dreißig Mitglieder verfolgten die fundierten und informativen Vorträge mit großem Interesse.

 

Kreisverbandssprecher Dr. Bernhard Zimmer nannte zu Beginn das Ziel: es müsse eine Position entwickelt werden, wie die Grünen in der Biosphärenregion Berchtesgadener Land das Mit- beziehungsweise Nebeneinander von Mensch und Natur inklusive große Beutegreifer sachlich und konstruktiv voranbringen können. „Es muss uns um die Koexistenz von Wolf und Weidetieren gehen; wir leben in einer Biosphärenregion und haben daher eine besondere Verantwortung“, so der grüne Kreisrat, der seit zwei Jahren am Högl Alpine Steinschafe im Nebenerwerb hält.

 

Christian Hierneis erläuterte umfassend den juristischen Sachstand. Der Landtagsabgeordnete ist Vorsitzender der BN-Kreisgruppe München und zudem Beauftragter des Landesvorstandes für Wildtiermanagement beim Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit. Außerdem ist er Mitautor der offiziellen bayerischen Managementpläne für Bär, Wolf und Luchs. Hierneis erklärte, dass der Wolf sowohl durch das Bayerische Naturschutzgesetz, das Bundesnaturschutzgesetz als auch durch EU-Gesetz streng geschützt ist. Er dürfe nur abgeschossen werden, wenn er eine Gefahr für den Menschen darstelle, beziehungsweise, wenn er Weidetiere gerissen hat, die ordentlich geschützt waren. An Schutzmaßnahmen werden Zäune, Herdenschutzhunde und Behirtung genannt. Bevor man diese Maßnahmen nicht ausgeschöpft habe, darf man einen Wolf nicht abschießen. „Wolfsfreie Zonen sind laut Gesetz nicht möglich“, so Hierneis. An dieser Faktenlage ändere sich nichts, solange man in Deutschland den sogenannten günstigen Erhaltungszustand für den Wolf nicht erreicht habe. Und von diesem sei man noch entfernt, wie Hierneis betonte. Weil das auch genauso im Bayerischen Managementplan „Große Beutegreifer“ steht, war die von der Regierung von Oberbayern kürzlich erteilte Abschussgenehmigung des sogenannten Traunsteiner Wolfes von vorneherein nicht haltbar und wurde deswegen auch vom Verwaltungsgericht München gestoppt, wie der Landtagsabgeordnete klarstellte.

 

Danach stellte Hierneis die Forderungen der Grünen Landtagsfraktion vor. Die Förderkulisse für Schutzmaßnahmen wie Zäune und Herdenschutzhunde sowie deren Unterhalt müsse auf ganz Bayern und nicht nur auf die vom Landesamt für Umwelt (LfU) anerkannten Wolfsgebiete ausgedehnt werden. Zudem müsse die Behirtung gefördert werden. Und eines sei klar, so der Politiker, „wir wollen traditionelle Almwirtschaft und Weidetierhaltung erhalten, denn sie sind ein unverzichtbarer Beitrag zum Naturschutz und zum Erhalt der Artenvielfalt“. 

 

Gisela Sengl berichtete über das von ihr in Traunstein initiierte Dialogforum „Weide und Wolf“, bei dem im großen Kreis mit Vertretern der Bauern, der Almbauern, der Ämter und dem Grünen EU-Abgeordneten Martin Häusling diskutiert wurde. Es sei ein gutes Gespräch gewesen, bei dem die Leute relativ vernünftig miteinander geredet hätten. Ein Fortschritt in der aufgeladenen Stimmung, so Sengl. Sie sprach das Thema Behirtung an, das es hier in der Gegend zwar nicht mehr gebe, das vor 150 Jahren jedoch noch üblich war. Sie fände es wichtig, wenn sich Praktiker finden würden, die bei den diversen angedachten Herdenschutzmaßnahmen mitarbeiten würden. Außerdem wies Sengl darauf hin, dass ein regional angepasstes Weidemanagement erstellt werden müsse. Ebenso müsse ein offizielles Monitoring auf den Weg gebracht werden, um die Zahlen hinsichtlich des günstigen Erhaltungszustands des Wolfes zu aktualisieren. „Wir Grüne müssen im Hinblick auf Wolf und Weidetierhaltung proaktiv sein und dafür sorgen, dass es unbürokratischer wird“, so die Landespolitikerin.

 

Wie sehr das Thema Wolf die Mitglieder des Grünen Kreisverbands bewegt, zeigte sich in den vielen Wortmeldungen während der von Magdalena Wimmer, Beisitzerin im Kreisverband, moderierten Diskussion. So meinte etwa Landwirtin Elisabeth Hogger, die eine beweidete Alm bei Unterwössen hat, dass es nicht unbedingt um finanzielle Ausgleichszahlungen gehe. Es müsse mehr mit den Betroffenen gesprochen werden, die Tiere seien schließlich keine Sachen, so die Teisendorferin.

 

Auch Kreisrat und Biobauer Bernhard Koch aus Anger sprach die Wertschätzung von Tieren an, die seiner Meinung nach hierzulande vielfach zu gering sei. Schafe und Ziegen seien für die Almen extrem wichtig, weil sie die Büsche nieder hielten. Der Wolf wiederum könne wichtig werden, um das Wild klein zu halten und somit eine bessere Waldverjüngung zu ermöglichen. „Wir sind in der Bredouille, wie brauchen beide, Wolf und Weidetiere“, brachte Koch den scheinbar unlösbaren Konflikt auf den Punkt.

 

Christian Hierneis griff ebenfalls den Gedanken der Wertschätzung auf und sagte, die Förderkulisse könne nicht so bleiben, da die Schafhaltung für den Erhalt der Artenvielfalt sehr wichtig sei. In puncto Akzeptanz sprach er das „Netzwerk große Beutegreifer“ an. In diesem Netzwerk werden Jäger, Förster, Landwirte und Naturschützer vor Ort geschult, um das Vorkommen der Tiere zu erfassen, aber auch um Nutz- und Wildtierrisse zu dokumentieren. Die Informationen laufen am Bayerischen Landesamt für Umwelt zusammen und werden dort ausgewertet.

 

Konkretes Handeln von der Politik forderte Gisela Badura-Lotter. „Was gedenkt die Politik an Lösungsansätzen anzubieten“, fragte sie die Gäste aus dem Landtag. Die Biologin lebt in Marktschellenberg und ist selbst Schafhalterin im Nebenerwerb. Ihrer Meinung nach muss das Thema extrem regional angegangen werden, denn es sei ein großer Unterschied, ob man über Schafhaltung in Brandenburg mit tausend Tieren spreche oder über Nebenerwerbsschafhaltung mit Herden unter fünfzig Tieren. Gisela Sengl verwies in diesem Zusammenhang auf das praxisorientierte „LIFEstockProtect“-Projekt. Dieses von der EU bezuschusste Programm zeigt die verschiedenen Herdenschutzmaßnahmen in Österreich, Bayern und Südtirol auf und beschreibt, was alles möglich ist (www.lifestockprotect.info).  

 

Einige Diskussionsteilnehmer brachten ihre Sorge zum Ausdruck, dass die Herdenschutzmaßnahmen ihrer Meinung nach nicht umgesetzt werden könnten. „Wie sollen wir ein großes Areal einzäunen, wo sollen wir Hirten finden?“ Christian Hierneis sagte, dass es eine individuelle, konkrete Beratung durch die Landwirtschaftsämter bräuchte. „Wenn die Staatsregierung wollte, könnte sie Lösungen für die Probleme finden“, so der grüne Landtagsabgeordnete.

 

Nach dem gut zweistündigen Austausch war man sich einig, dass es für das Thema keine einfache Lösung gebe. Man wolle jedoch versuchen, die Panik zu relativieren und nach vorne zu schauen, um konkrete Projekte anzugehen. Ein erster guter Schritt sei mit der nun erfolgten Vernetzung mit dem Landtag unternommen. Bernhard Zimmer entließ die Kreismitglieder mit dem Versprechen, die Thematik baldmöglichst wieder aufzugreifen, dann aber draußen in Präsenz.