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Bezirkstagswahl im Schatten der Landtagswahl?

Für Martina Neubauer, die Vorsitzende der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen im Bezirkstag von Oberbayern, ist es nicht nachvollziehbar: Trotz eines jährlichen Haushaltes von 1,4 Milliarden Euro findet der Bezirkstag in der Öffentlichkeit kaum Beachtung.

Einen umfassenden Einblick in die Arbeit des oberbayerischen Bezirkstages gab Neubauer auf einer Veranstaltung des Grünen-Kreisverbandes zur Bezirkstagswahl am 15. September.

Welche Aufgaben hat der Bezirkstag ?

Der Bezirkstag sei unter anderem zuständig für die überörtliche Sozialhilfe, die Eingliederungshilfen für Menschen mit Behinderung und für einen grossen Teil der ambulanten, teilstationären und stationären Einrichtungen in der Psychiatrie, sowie der Hilfe zur Pflege. In diese Bereiche würden 92 Prozent der Finanzmittel des Bezirkstages fließen. Aber auch in den Bereichen Sport, Kultur, Jugendarbeit, Heimat- und Volksmusikpflege gebe es beim Bezirkstag Zuständigkeiten. Zudem finanziere der Bezirk einen Imkerei- und einen Fischereibeauftragten, einen Heimatpfleger, ja sogar ein Trachteninformationszentrum.

Ist der Bezirkstag noch zeitgemäß ?

Immer wieder gebe es Vorschläge, Aufgabengebiete des Bezirkes auf andere kommunale Einheiten zu übertragen. Sie sei nicht generell dagegen, die Aufgaben des Bezirkes immer wieder kritisch zu hinterfragen. Allerdings müsse man im Einzelfall überprüfen, was eine solche Verlagerung brächte. Bei der überörtlichen Sozialhilfe oder bei den Eingliederungshilfen etwa führe der Bezirk die Verhandlungen mit den Wohlfahrtsverbänden. Werde dieser Bereich auf die Landkreise übertragen, müssten also jeder Landkreis in eigener Verantwortung diese Verhandlungen führen. Ob das zu besseren Ergebnissen als derzeit führe sei aus ihrer Sicht zweifelhaft.

Als grosse Herausforderung für die nächste Zukunft im Bereich der Eingliederungshilfen sehe sie die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, nach der künftig ambulante und teilstationäre Angebote Vorrang vor Grosseinrichtungen stationären bekommen sollen und das Wunsch- und Wahlrecht für Menschen mit Behinderung endlich Prioritaet hat. Hierfür sei auf Antrag von Bündnis 90/Die Grünen im Bezirkstag einstimmig ein Vorschlag zur Entwicklung von Steuerungsmechanismen und die Durchführung von Modellprojekten mit wissenschaftlicher Begleitung beschlossen worden. Auch in Bezug auf die energetische Sanierung von Bezirksgebäuden seien Anträge der Grünen erfolgreich gewesen.

Ein Wechsel war möglich, aber ...

Dagegen wären die Grünen mit dem Ansinnen gescheitert, im Bezirkstag eine Mehrheit gegen die CSU zu organisieren. Diese habe bei der letzten Wahl 18 Prozent verloren und wäre nur noch bei 38 Prozent gelandet. Aber anstatt auf das Angebot der Grünen einzugehen, ein SPD-Mitglied zum Bezirkstagspräsidenten zu wählen, habe diese sich mit dem Bezirkstagsvizepräsidentenposten zufrieden gegeben und ein CSU-Mitglied zum Bezirkstagspräsidenten gewählt.

Die Grünen-Bezirkstagsdirektkandidatin im Stimmkreis Berchtesgadener Land, die Diplom-Biologin Ilse Englmaier, sieht ihre inhaltlichen Schwerpunkte einer möglichen künftigen Bezirkstagsarbeit vor allem im Bereich Umwelt- und Naturschutz. Sie wolle sich dafür stark machen, dass der Hochwasserschutz und der Unterhalt für Gewässer zweiter Ordnung, für den der Bezirkstag bis 2008 zuständig war, wieder an diesen zurückfalle. Zu den Hochwasserereignissen vor wenigen Wochen merkte Englmaier an, dass es schon immer Hochwasser gegeben habe. Deren Auswirkungen habe aber in den letzten Jahren dramatisch zugenommen, wofür überwiegend der Mensch die Verantwortung trage. Neben dem Klimawandel nannte sie zu zunehmende Flächenversiegelung und den Verlust an Retensionsflächen als Hauptursachen für die Hochwasserkatastrophen der letzten Jahre. So seien die Auwaldflächen in Bayern auf nunmehr zwei Prozent ihres ursprünglichen Bestandes geschrumpft. Und von den ursprünglich in Bayern vorhandenen Mooren und Feuchtflächen gebe es nur mehr zehn Prozent.

Elisabeth Hagenauer, Listenkandidatin zur Bezirkstagswahl und stellvertretende Kreistagsfraktionschefin im Landkreis Berchtesgadener Land und Stadträtin in Freilassing, hob die Bedeutung der stationären Psychiatrie in Freilassing hervor. Diese Einrichtung vor Ort sei ein Segen für Patienten wie für Angehörige gleichermassen. Ausserdem biete diese Einrichtung hochwertige Arbeitsplätze. Nach anfänglicher Skepsis in Teilen der Freilassinger Bevölkerung sehe sie die Psychiatrie in Freilassing als bestens integriert an.

Dr. Bartl Wimmer, Landtagskandidat und Grünen-Kreistagsfraktionschef im Landkreis Berchtesgadener Land, sieht die künftig auf die psychiatrische Kliniken zu kommende neue Vergütungsordnung sehr skeptisch. Grundsätzlich sei er in der Medizin für eine Verankerung von betriebswirtschaftlichen Elementen. Deshalb sei er auch für die Einführung der Fallpauschalen in der somatischen Medizin gewesen. Allerdings sehe er die Art und Weise der Umsetzung in Deutschland kritisch. Nirgendwo auf der Welt sei dieses Instrument so „radikal“ wie in Deutschland eingesetzt worden. Während andernorts die Fallpauschalen in der Regel zwischen 50 und 70 Prozent der Finanzierung einer stationären Einrichtung ausmachten, liege diese Quote in Deutschland demnächst bei 100 Prozent. Das liege auch daran, dass in Deutschland die Fallpauschalen zum Bettenabbau „missbraucht“ würden. Eine ?bertragung dieses Systems auf die Psychiatrie werde seiner Ansicht nach den vielen komplexen Diagnosen in der Psychiatrie nicht gerecht. Während man etwa eine Blinddarmoperation einigermassen standardisiert durchführen könne, entzögen sich Diagnosen wie Depression seiner Meinung nach einer solchen Standardisierung.

Zum Schluss der Veranstaltung zog Moderator Prof. Dr. Bernhard Zimmer das Fazit, dass er durch die Ausführungen viel über die Aufgaben des Bezirkes gelernt habe. Er hoffe, dass die Bürgerinnen und Bürger die Bezirkstagswahl ähnlich Ernst nähmen wie die Landtags- und die Bundestagswahl.

Grünen-Bezirkstagschefin Martina Neubauer (Bildmitte) bei ihrem Vortrag in Freilassing über die Arbeit des Bezirkstages. Ganz rechts im Bild Grünen-Kreistagsfraktionschef Dr. Bartl Wimmer.