Erstellt von mw | |   Berchtesgadener Tal

Claudia Roth besucht Berchtesgadener Grüne

Strahlender Sonnenschein, eine eindrucksvolle Führung durch die Dokumentationsstelle am Obersalzberg und ein bis auf den letzten Platz gefüllter Saal im Gasthof Forelle im Marktschellenberg. Claudia Roth, Bundesvorsitzende der Grünen, bezeichnete den Tag in Berchtesgaden als Kontrast zu dem anstrengenden politischen Alltag in Berlin.

Eine von der Landschaft begeisterte Claudia Roth traf letzten Samstag gegen die Mittagszeit am Obersalzberg ein. Wer hier in die Runde blickt, sieht, wofür es sich lohnt, grüne Politik zu machen, war das erste spontane Statement der Bundesvorsitzenden. Linda Pfnür, Leiterin der Dokumentation Obersalzberg, hat keine Mühe gescheut und für eine Führung Herrn Albert Feiber, Kurator am Institut für Zeitgeschichte in München gewinnen können. Feiber, einer der profundesten Kenner der nationalsozialistischen Zeit führte die sichtlich beeindruckte Claudia Roth durch die Räume der Dokumentation.

Michael Widmann, Ortsvorsitzender der Grünen im Berchtesgadener Tal und Berchtesgadener Bürgermeisterkandidat begrüßte zur abendlichen Wahlveranstaltung im brechend vollen Saal des Gasthof Forelle in Marktschellenberg neben Claudia Roth, auch den Marktschellenberger Spitzenkandidaten Nikolaus Rußegger und den Landratskandidaten der Grünen Edwin Hertlein. Widmann betonte dabei, dass die Bundesvorsitzende am Vormittag in Piding den jüngsten Ortsverband der Grünen in Bayern und jetzt einen der ältesten Ortsverbände, den Ortsverband Berchtesgaden gibt es immerhin schon seit 1981, besucht.

Nikolaus Rußegger stellte in seiner Vorstellungsrede kurz seine Ziele als grüner Gemeinderat in Marktschellenberg vor. Grüne Politik ist Politik für die Landwirtschaft, so Rußegger. Für ihn steht die Förderung der bäuerlichen Kulturlandschaft und deren finanzielle Anerkennung durch eine Angleichung der Steilflächenförderung, die Ansiedlung von Informationstechnologie-Firmen als umweltschonendes Gewerbe genauso wie der Einsatz alternativer Energien wo immer es möglich und sinnvoll erscheint auf der Agenda. Eine Rückbesinnung auf die Nutzung eigener Ressourcen schafft Arbeitsplätze und stärkt den regionale Wirtschaftskreislauf.

„Ein Gedenkmuseum am Obersalzberg ist Wahnsinn“. Edwin Hertlein, Landratskandidat der Grünen erinnert sich an diese Aussage des jetzigen Landrats Georg Grabner, als die Grünen als erste eine derartige Einrichtung am Obersalzberg forderten. Hätte Edmund Stoiber nicht den Bau der Dokumentation Obersalzberg über die Köpfe der hiesigen Kommunalpolitiker hinweg durchgesetzt, wäre Berchtesgaden um eine seiner touristischen Hauptattraktionen ärmer. Die Grünen besetzen seit Jahren die richtigen Themen. Selbst der Freilassinger Bürgermeister habe vor kurzem zu ihm gesagt „ihr wists ois bessa“. Das war richtig, so Hertlein. Der Landkreis Berchtesgadener Land ist bundesweit führend bei den erneuerbaren Energien. Das ist ausschließlich den Intentionen der Grünen zu verdanken, nicht den Lippenbekenntnissen anderer Parteien. Vieles, was Grüne im Landkreis in den letzten 20 Jahren gefordert und prognostiziert haben ist inzwischen eingetreten. Oftmals wurde wertvolle Zeit dabei vergeudet. Die Grünen haben bereits  im Jahre 1993 die Zusammenlegung der Kreiskliniken gefordert. Umgesetzt wurde dies erst 2002. Hart ins Gericht ging Hertlein mit der Unsitte sowohl auf  Kreisebene als auch im Sparkassenzweckverband , Sitzungen grundsätzlich nichtöffentlich   durchzuführen.

Claudia Roth freut sich in ihrer anschließenden Rede, dass es so viele grüne Mitstreiter gibt, die nach langen Jahren ihr Engagement nicht verloren haben. Wenn man als Grüne vor 20 Jahren noch als eine Art Wurzelsepp betrachtet wurde, so sei jetzt zu erkennen, dass die Grünen mit vielen ihrer Prognosen richtig lagen. Mit Blick auf den Klimawandel meinte Claudia Roth, bei manchen Dingen wäre es ihr lieber, wenn die Grünen nicht recht gehabt hätten. Vieles habe sich geändert in den letzten Jahren. Wo der frühere bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß noch die Parole ausgegeben hat, die Grünen müssen weg, so habe ihr der jetzige Ministerpräsident Günter Beckstein dass Du angeboten. Und das nach rund 18 Jahren erbitterten Streitens und der früheren Ansicht Becksteins, Claudia Roth sei nur eine Nervensäge. Dies ist auch ein Zeichen der Veränderung der politischen Kultur.

Bei der geradezu überirdischen Schönheit des Berchtesgadener Landes überkommen sie ein gewisses Gefühl von Heimat, so Roth. Um diese Heimat zu schützen und zu erhalten, muss alles getan werden. Dabei stellt sich die Frage, was Heimat schön und lebenswert macht. Was suchen die Menschen in der Heimat? Es sind nicht Beschneiungsanlagen oder Factory-Outlet-Center wie in Piding. Nicht alles was machbar ist, muss gemacht, sondern das Verhältnis des Menschen zur Natur muss grundlegend überdacht werden. Gerade hier in den Bergen werde der Mensch wieder auf ein Normalmaß zurechtgestutzt, dies gilt es zu bewahren.

Ihren Aufenthalt in der Dokumentation Obersalzberg bezeichnete Claudia Roth als bedrückend   und erleichternd zugleich. Sie selbst sei in ihrem Wahlkreis Augsburg oftmals als Nestbeschmutzerin hingestellt worden, wenn sie gefordert hat sich der Geschichte zu stellen  Deswegen sein es auch so wichtig, dass es Stätten wie die Dokumentation Obersalzberg gibt, wo versucht wird, etwas zu erklären, was eigentlich nicht zu erklären ist. Claudia Roth betonte dabei, dass die Dokumentation Obersalzberg das dritt meist besuchte Ausstellungszentrum in Bayern ist, neben so renommierten Ausstellungen wie die Pinakotheken in München. Man darf dabei nicht vergessen, dass Rechtsextremismus keine Erscheinung nur in Ostdeutschland ist. Auch in Bayern gibt es nach wie vor große Zustimmung zu antisemitischen Ideen. Es gilt durch Einrichtungen wie die Dokumentation Obersalzberg vor allem jungen Leuten Erinnerungen an die Zukunft zu zeigen. Dabei darf nicht übersehen werden, dass Zeitzeugen immer weniger werden.

Sie sei bei der Eröffnung der Berlinale dabei gewesen, wusste Claudia Roth aus Berlin zu berichten. Bei der Vorstellung des Rolling Stones-Film wurde getanzt. Dabei wusste der anwesende Bundestagpräsident Dr. Lammert nicht, ob er mitmachen soll oder nicht. Und das obwohl Lammert jünger ist als die Bandmitglieder der Stones. Auch hier hoffe sie auf Veränderungen, so Roth. Veränderungen, wie es sie auch in Hessen gab, wo der Ministerpräsident Koch einen unsäglich Wahlkampf auf dem Rücken von Minderheiten ausgetragen und dabei vom Wähler zurechtgestutzt wurde. Koch wollte keine Diskussion über Bildungspolitik oder innere Sicherheit, sondern benutzte das Thema Jugendkriminalität, um die wichtigen Themen und damit die eigenen Versäumnisse zu übertünchen. 150 fehlende Richter, 1000 fehlende Polizisten und dann über Jugendkriminalität schimpfen. Das ist Gift für die Demokratie und den Rechtsstaat, so Roth. Wer das Jugendstrafrecht auch für Kinder einführen will, befinde sich nicht mehr auf rechtsstaatlichen Boden. Am Vortag habe ihr zu dem Thema ein CSU-Kandidat in Traunstein gesagt, wir befinden uns hier nicht in Hessen. Dies ist ein Zeichen   für positive Veränderungen.

Kein gutes Haar ließ Claudia Roth an der Bundesregierung. Wo der frühere Bundeskanzler Kohl Probleme ausgesitzt hat, werden die von Angela Merkel „weggelächelt“. Die Bundesregierung hat das regieren seit Herbst letzten Jahres faktisch eingestellt, so Roth. Wo früher die Opposition etwas anderes gesagt hat wie die Regierung, schafft die Große Koalition das jetzt in einem. Es reicht nicht, wenn sich die Bundeskanzlerin als Klimaqueen feiern lässt und der Umweltminister kleine Eisbären knutscht. Stattdessen betreiben beide sowohl auf Berliner als auch auf Brüsseler Ebene Lobbyarbeit für die Autoindustrie. Die Folge daraus wird sein, dass deutsche Autos international nicht mehr konkurrenzfähig sein werden. Für deutsche Autos wird es in beispielsweise in Kalifornien, immerhin die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt, künftig schwierig werden, Zulassungen zu erhalten. Dieses kurzsichtige Verhalten schadet der deutschen Wirtschaft langfristig mehr als es ihr kurzfristig nutzt. Ebenso hat der geplante Bau von 40 neuen Kohlekraftwerken nichts mit Klimaschutz zu tun. Merkel und Gabriel hissen die Fahnen für den Klimaschutz und ducken sich darunter weg.

Schlechte Nachrichten wusste Claudia Roth aus Afghanistan zu berichten. Der massive Druck, der zur Zeit auf Deutschland ausgeübt wird, hat zur Folge, dass angeblich eine Aufstockung der derzeit 3.500 deutschen Soldaten in Afghanistan um weitere 1.000 Soldaten geplant ist. Das Einsatzgebiet soll künftig auch den Westen Afghanistans einschließen. Darüber hinaus ist Gerüchten zufolge der Einsatz von Jagdbombern geplant. Claudia Roth sagt: „Dann sind wir wirklich im Krieg“. Deutschland sei in Afghanistan mit dem Ziel angetreten, im wesentlichen Aufbauarbeit zu leisten, auch unter militärischem Schutz. Tatsache ist aber, dass in ganz Afghanistan zur Zeit lediglich 17 Polizisten zum Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen eingesetzt sind. Mit einem derart krassen Mißverhältnis sind die Probleme Afghanistans nicht zu lösen, meinte Roth. Mit Militär allein ist Afghanistan nicht zu befrieden.

Etwas süffisant beschrieb Claudia Roth die Veränderungen innerhalb der CSU. Die CSU-Generalsekretärin bezeichnete den politischen Aschermittwoch in Passau  kürzlich als „Mekka der Konservativen“. Es ist erstaunlich, wie schnell die CSU islamische Begriffe in ihren Wortschatz einbaut. Sie übersieht dabei, das die CSU nach Stoiber in Berlin fast nicht mehr wahrgenommen wird. Die CSU hat offensichtlich den Weg zu einer Regionalpartei unter Parteichef Huber vollendet. Das von der CSU so oft propagierte Miteinander der Menschen gilt in Bayern nicht für alle. „Anders“ zu sein hat in Bayern immer noch mehr Nachteile als in anderen Bundesländern. Wo beispielweise Homosexuelle wie Ole van Beust in anderen Ländern höchste politische Ämter wahrnehmen, ist in Bayern nicht einmal die standesamtliche Trauung gleichgeschlechtlicher Paare möglich. Und wenn der bayerische Ministerpräsident Beckstein soziales in den Vordergrund stellt und gleichzeitig strikt gegen die Einführung von Mindestlöhnen ist, hat dies einen faden Beigeschmack. Es ist nicht Sache der Allgemeinheit, ungerecht bezahlte Arbeitnehmer mit Steuermitteln auf Hartz IV Niveau zu bringen. Claudia Roth zeigte am Beispiel der Trostberger Tafel, wo sich in kürzester Zeit über 300 Hilfsbedürftige angemeldet haben, dass es Armut und große soziale Probleme in Deutschland gibt. Genauso in die Kritik nahm Claudia Roth die Bildungspolitik in Bayern. Es gebe massive Probleme an den Schulen. Selbst wenn bayerische Abiturienten bei der Pisa-Studie gut abgeschnitten haben, darf nicht übersehen werden, dass der Anteil der Abiturienten mit rund 20 % unterdurchschnittlich niedrig ist. Es ist traurige Wahrheit, dass Bildung bei uns abhängig vom Geldbeutel der Eltern ist, so Roth. 10 % aller Schüler verlassen die Schule ohne Abschluss. Dies ist ein haarsträubender Zustand. Die Unternehmen der freien Wirtschaft können im Rahmen der Berufsausbildung diese Versäumnisse der Politik nie und nimmer auffangen.

Das C der sogenannten christlichen Parteien ist in den Augen der Bundesvorsitzenden eine Farce. Fortschritt kann nicht bedeuten, dass sich der Mensch über die Schöpfung erhebt. Am Beispiel der Atomkraft, der BSE-Krise und der Gentechnik stellte Claudia Roth klar, dass sich der Mensch nicht einbilden darf, Technik in jedem Falle zu beherrschen, nur weil er Mensch ist. Darf der Mensch aus pflanzenfressenden Tieren fleischfressende machen? Die geradezu apokalyptischen Bilder aus England zu BSE erkrankten Tieren zeigen, dass er, der Mensch, das gerade nicht darf. Niemand weis, was die Gentechnik in Zukunft bringt. Gerade die christlichen Politiker, die ansonsten den ganzen Tag von Sicherheit reden, interessieren Sicherheitsrisiken bei der Gentechnik nicht. Obwohl es in der Bevölkerung eine breite Front gegen gentechnisch erzeugte Lebensmittel gibt, propagiert Minister Seehofer die „grüne Gentechnik“. Es muss wohl erst ein Unternehmer wie der Babynahrungshersteller Hipp seine Drohung, Deutschland zu verlassen wahrmachen, wenn er hier keine sauberen Herstellungsgrundlagen für seine Produkte mehr vorfindet, bevor die christlichen Politiker aufwachen. Widerstand ist auch christliche Verantwortung, so Roth.

Claudia Roth blieb angesichts der Stimmung im Saal bis zum Ende der anschließenden Diskussion in Marktschellenberg. Sie hat gezeigt, dass es noch PolitikerInnen mit Ecken und Kanten gibt, die sich wohltuend vom einerlei der aalglatten Berufspolitiker abheben. Der Ortsverband der Grünen im Berchtesgadener Tal überreichte Claudia Roth ein Abschiedsgeschenk in Form eine Spanschachtel mit regionalen Produkten der Solidargemeinschaft BGL damit sie Berchtesgaden nicht nur politisch und landschaftlich, sondern auch kulinarisch in bester Erinnerung behält. Michael Widmann bedankte sich abschließend bei den so zahlreich erschienenen Bürgern Marktschellenbergs, doppelt so viele wie beim Auftritt Claudia Roths am Vorabend in Traunstein. Dies zeigt, dass gerade in kleinen Gemeinden Politik noch lebendig ist.  

Dieser in einer Nacht- und Nebelaktion von der Mobilfunkfirma O2 errichtete Mobilfunkmast in Aschau in der Marktgemeinde Teisendorf verursacht zur Zeit eine erhebliche Störung des Dorffrieden.
Grüne Trilogie: Landratskandidat Edwin Hertlein, Bundesvorsitzende Claudia Roth und Bürgermeisterkandidat Michael Widmann