Erstellt von Karin Kleinert | |   Kreisverband

Best practice-Beispiele als Impulse für das Berchtesgadener Land

Wie wollen wir künftig wohnen, wie arbeiten, wie uns bewegen? Diese Fragen stellen für alle Menschen, egal ob in der Stadt, auf dem Land oder im alpinen Raum eine Herausforderung dar. Weil die drei Themenkomplexe eng beieinander liegen, sollten sie zusammenhängend gedacht werden, auch bei uns im Berchtesgadener Land. Wie solche neuen Denkansätze aussehen können und welche Perspektiven es gibt, wurde vor kurzem im Haus der Berge in Berchtesgaden thematisiert.

An der öffentlichen Veranstaltung, die unter dem Titel „alpen-leben-regional“  aufschlussreiche Vorträge und anregende Workshops bot, nahmen an die vierzig Teilnehmer aus dem Landkreis teil, darunter Akteure aus Wirtschaft und von Verbänden sowie Mitglieder von kommunalen Gremien. Konzept und Organisation des „Grüne Dialogwerkstatt“ benannten Formats lagen bei  Bartl Wimmer, dem Landratskandidaten von Bündnis 90 / Die Grünen und deren Sprecher der Kreistagsfraktion, und Jens Badura von  „creativeALPS“, einer Art „Denkfabrik“, die nach Lösungen sucht, wie man die Attraktivität des ländlichen Raum steigern kann, ohne städtische Perspektiven einfach überzustülpen.

Badura, der die rund fünfstündige Veranstaltung moderierte, sagte zur Begrüßung, dass man bei der Beantwortung der Frage „Wie soll es mit dem alpinen Raum  weitergehen?“ nicht bei den immer gleichen Rezepten hängen bleiben, sondern Diskurse anregen und Alternativen aufzeigen solle. Dies gelinge besonders gut mit Beispielen, die sich in der Praxis bereits bewährt hätten und im Fachjargon „Best practice“-Beispiele heißen. Solche Erfolgsmodelle wurden den Zuhörern sodann von drei Referenten vorgestellt.

Als erster  berichtete Andrej Schindler zum Themenfeld „Wohnen“. Der Kulturwissenschaftler und ehemaliger Kreditberater entwickelt  gemeinschaftliche Wohnprojekte, unter anderem für eine Stiftung namens „trias“. Der Leitgedanke dieser 2002 im Ruhrgebiet gegründeten Bürgerstiftung ist es,  den Boden als Gemeingut zu verstehen und nicht nur als Bauland für Investoren, die damit Spekulation betreiben. Zudem ist für die inzwischen über neunzig Stifter der Nachhaltigkeitsgedanke, unter anderem im Bereich Baubiologie, Ressourcenverbrauch, Energieeinsparung, von großer Bedeutung. Über sieben der vierzig realisierten beziehungsweise in der Realisierung befindlichen Projekte informierte Schindler ausführlich. Zur Sprache kam zum Beispiel das Projekt „Communia“ aus dem schwäbischen Metzingen, wo mehr bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden sollte. Durch eine mit Unterstützung der Stadt gegründete Bürgerstiftung wurden Grundstücke in Erbpacht erworben und Bauwilligen zur Verfügung gestellt mit der Auflage dauerhaft Wohnraum zu bezahlbaren Mieten zu schaffen. Die Grundstücke bleiben im Besitz der Stiftung und dürfen nie mehr verkauft werden. Seit 2016 sind Häuser mit 14 Wohnungen entstanden. Andere Beispiele bezogen sich auf Wohnen im Alter (Glockenhof Bochum), auf Kultur und Wohnen in einem alten Fabrikgelände (Zentralwerk Kultur- und Wohngenossenschaft Dresden), auf nachhaltiges Wirtschaften und Wohnen (Gemeinschaft Lebensbogen bei Kassel) und etliche weitere spannende Konzepte.

Das Thema Mobilität griff Michael Ziesak auf, seit diesem Jahr Referent für Verkehrspolitik vom Bundesverband CarSharing. Er kennt Berchtesgaden seit seiner Zeit bei „Fahrtziel Natur“, einer Kooperation von Deutscher Bahn und Umweltverbänden, die auch den Nationalpark Berchtesgaden als Partner hat. CarSharing gibt es in Deutschland seit 31 Jahren, es bedeutet, dass mehrere Menschen gemeinschaftlich ein Auto nutzen, das von einem CarSharing-Unternehmen angeboten wird. In mehr als 700 deutschen Städten, darunter 180 mit weniger als 10 000 Einwohnern, gibt es dieses Angebot. Ziesak, ein Spezialist für nachhaltige Mobilität von touristischen Regionen, meinte, er könne sich CarSharing im Berchtesgadener Land gut als Ergänzung zum öffentlichen Nahverkehr vorstellen, jedoch nicht als dessen Ersatz. Als positives Beispiel, dass so ein Angebot auch in den Alpen funktioniert,  nannte er die Pongauer Gemeinde Werfenweng, die bereits seit zwanzig Jahren auf umweltbewusste und nachhaltige Mobilität setzt  und mehrere Autos im CarSharing-System für Bewohner und Touristen anbietet.

Auch im Hinblick auf Wertschöpfung, also auf das Arbeiten, müsse man aus dem immer gleichen „Schachteldenken“ herauskommen und bereit sein, sich zu öffnen und anders zu denken, forderte der dritte Referent, der Südtiroler Hannes Götsch. Der gelernte Maschinenschlosser und Gründer verschiedener Kulturinitiativen berichtete sehr mitreißend über „Basis“, ein Innovations- und Gründerzentrum, das gerade in seiner Heimatgemeinde Schlanders im Vinschgau im Entstehen ist und dessen Projektleitung er innehat. Das Zentrum mit Werkstätten, Ateliers, Büros, einer Kantine sowie vier kleinen Wohneinheiten ist in einem Gebäude der ehemaligen Drusus-Kaserne  untergebracht und wird im Rahmen des Europäischen Regionalentwicklungsprojekts für Forschung, Innovation und Kreativwirtschaft von der Marktgemeinde und vom Land Südtirol realisiert. Götsch betonte, „Basis“ sei ein hervorragendes Beispiel, wie man eine Tallage, in der Grundstücke immens teuer geworden sind, durch sinnvolle Nachnutzung leerstehender  Gebäudekomplexe  zukunftsfähig und für junge Leute wieder attraktiv machen kann. Man fungiere quasi als „Rückkehreragentur, meinte er mit einem Augenzwinkern. Insgesamt, so der Südtiroler, müssten die Bürger wieder mehr Eigeninitiative an den Tag legen und Verantwortung für die Gesellschaft übernehmen.

Nach den informativen Vorträgen konnten die Teilnehmer in drei Workshops mit den Referenten regionale Probleme und Fragestellungen diskutieren sowie konkrete Vorschläge erörtern. Im Anschluss wurden die Ergebnisse dieser Workshops dann allen Teilnehmern vorgestellt.  Das Fazit der Wertschöpfungs-Gruppe war beispielsweise, dass man das Potential vor Ort am besten ausschöpfen könne, wenn man sich besser vernetzen würde und es ein besseres Zusammenarbeiten aller maßgeblichen Akteure gebe. Gefordert sei eine „Kultur des Handels“, die auf Vertrauen basiert und auch den einen oder anderen kleinen Fehler zulässt. Dadurch werde der kreative Austausch gefördert, so Bartl Wimmer, der in dieser Gruppe mitdiskutierte. Er ergänzte, dass der Mut zur Entscheidung gefördert werden müsse und zwar bei Unternehmern, Institutionen und Behörden. Einig waren sich alle, dass die Bildung von sogenannten Clustern, also von Netzwerken, ausgesprochen sinnvoll sei und dass die Zivilgesellschaft nicht alles der Politik überlassen solle, sondern selbst aktiv werden müsse.

Treffende Schlussworte fand Jens Badura, der sagte, dass es für ein gelingendes Miteinander und eine nachhaltige Entwicklung der Region notwendig sei, alle relevanten Leute an einen Tisch zu bringen, auch die „Kantigen“.

Lieferten neue Denkansätze: die Referenten und Organisatoren der Grünen Dialogwerkstatt „alpen_leben_regional“ im Haus der Berge, v. l. Hannes Götsch (Wertschöpfung), Andrej Schindler (Wohnen), Jens Badura, Dr. Bartl Wimmer, Michael Ziesak (Mobilität)